Der hl. Erzengel Michael und der Monte Gargano

zu Plinio Corrêa de Oliveira

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Eingang zu Heiligtum

Émile Mâlle, ein bekannter Historiker des Mittelalters beschreibt in seinem Werk „L´Art Réligieuse au XIIème siècle en France”, folgendes Ereignis:

„Die Pilger zum Heiligen Land zogen nicht alle durch Rom. Viele verließen die Via Emilia nicht, um die Apenninen zu besteigen, und gingen weiter durch Rimini, Pesaro, Ancona und bis Brindisi über den alten römischen Weg, der sich entlang des Meeres erstreckte. Selten versäumten sie es einen Abstecher zu machen, um das berühmte Heiligtum des Heiligen Michael am Monte Gargano zu besuchen. Sie nahmen einen steinigen Weg in Kauf und stiegen zum Gipfel des Berges, überquerten den großen Wald, den Horaz besungen hatte. Dort erschien die geheimnisvolle Grotte des Erzengels vor ihnen. Am Eingang konnten sie diese Inschrift lesen: Terribilis est locus iste – dieser Ort ist furchterregend. Eine Treppe, die im Dunkeln hinabführte in die Tiefen der heiligen Grotte, ins Allerheiligste, wo auf dem Stein im Licht der Kerzen die Fußabdrücke des Erzengels erscheinen.“

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„Im Jahre 492 soll der heilige Michael an diesem hohen Ort erschienen sein. Er hatte durch ein Wunder einige Hirten überrascht, die einen entflohenen Stier suchten; dann sollten sie dem Bischof sagen, dass er an diesem Ort geehrt werden wolle. In der Tat fand man in der Höhle einen Altar, der dem Erzengel selbst geweiht war.“

„Man kann sich nichts Poetischeres vorstellen als diese düstere Grotte, auf diesem wilden Bergrücken, im Schoß der Wälder, die zum Meer hin abfallen. Für Pilger, wie für die Mönche des Mittelalters, waren großartige Landschaften notwendig. Der Geist Gottes schien für sie über die Gipfel der Berge zu schweben von wo aus man weite Horizonte entdeckte.“

„Seit dem siebten Jahrhundert ist die Grotte des Monte Gargano zu einem der berühmtesten Wallfahrtsorte Italiens geworden. Die lombardischen Könige, die im Herzogtum Benevento ein berühmtes Heiligtum besaßen, hatten eine besondere Andacht zum heiligen Michael: Sie prägten sein Bild auf Münzen, trugen Fahnen mit seine Bild und bauten Kirchen zu seinem Lob in Pavia und Luca; sie ehrten den heiligen Michael, den Engel der Kämpfe, den Soldaten Gottes.“

„Die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches erbten diese Andacht; wenn sie nach Italien hinabstiegen, versäumten sie es nicht, zum Berge Gargano zu gehen. Otto III. ging dorthin, um den Tod des Crescentius zu sühnen. Heinrich II. hatte in ihm eine Vision: es schien ihm, dass die Wände der Höhle verschwanden, und er sah den heiligen Michael an der Spitze eines Heeres von Engeln; einer der Engel näherte sich ihm und berührte seine Hüfte, wie es einst dem Jakob geschah. Dann verschwand alles, aber der Kaiser sah, dass er nicht geträumt hatte, denn er bewahrte sein ganzes Leben lang das Zeichen des Fingers des Engels an der Hüfte.“

In all diesen Ereignissen strahlt eine außergewöhnliche Poesie! Alles vergegenwärtigt uns dort Szenen des Glaubens von enormer Schönheit! In erster Linie die langen Schlangen von Pilgern, die entweder nach Rom oder auf anderen Wegen ins Heilige Land fahren. Einige gingen zu dem, den sie Dominus Apostolicus, den Apostolischen Herrn, dem Papst, der größte Nachfolger der Apostel, und gingen dann weiter ins Heilige Land. Andere hingegen machten eine gewissen Umweg, nahmen eine andere Straße und stiegen dann, einer nach dem anderen, den Berg Gargano hinauf.

Was war dieser Berg Gargano? Der Berg Gargano war ein Berg, auf deren Gipfel eine Höhle war, in der der heilige Erzengel Michael den Hirten erschienen war und hatte – um seine Anwesenheit an Ort und Stelle zu bezeugen – auf einen Stein, der sich im Inneren der Höhle befand, die Abrücke seiner Füße hinterlassen, der wie ein Altar zu seinen Ehren errichtet wurde. Dort erschien er auch dem Bischof und gab zu verstehen, dass er an diesem Ort mit besonderer Andacht verehrt werden wolle.

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Es blieb ein Ort, der von der Anwesenheit des Engels durchdrungen war. Ein geheimnisvoller Ort.

Man musste also sehr hoch klettern, aber wenn man oben angekommen war, am Eingang der Höhle, senkte sie sich und man musste in die Dunkelheit hinabsteigen. Und dort unten, auf dem Grund der Höhle, befand sich der prächtige Stein, auf dem der größte Krieger der Schlachten Gottes das Zeichen seiner heiligen Füße hinterlassen hatte.

Bedeutende Pilger sind zu diesem Wallfahrtsort gekommen, wie auch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.

Man kann sich den Abhang des Berges Gargano vorstellen, wie die große Prozession eines Kaisers hinaufsteigt. Wir können uns den Kaiser hoch zu Ross vorstellen; ein Mann von etwa dreißig, vierzig Jahren, stark, mächtig, vorneweg und nach ihm das gesamte Gefolge, das betend, zu Fuß oder zu Pferd, die Hänge des Hügels hinaufstieg; vorangegangen von Soldaten, die Trompeten bliesen, die die Anwesenheit eines solch hohen Machthabers hörbar machten. Wir können uns vorstellen, wie sie am Eingang der Höhle knien und zum Erzengel beten. Dann werden Fackeln angezündet, und die dunkle Grotte füllt sich plötzlich mit Licht. Die Prozession geht singend herunter, Priester traten ein, vielleicht sogar Bischöfe. Ein heiliger Kreis bildete sich um den Altar, ein Priester oder ein Bischof, zelebrierte dort die Messe und teilte die Heilige Kommunion aus. Sie beteten andächtig zum Erzengel.

Einer der Kaiser ging in einer traurigen Absicht: Es war ein reuiger Kaiser, der einen Crescentio umgebracht hatte, und wollte das begangene Verbrechen, durch diesen mühsamen Pilgerweg sühnen – denn Pilgerfahrten in jenen Tagen der schlecht ausgebauten, unsicheren Straßen waren ein echter Kampf.

Wie unterschiedlich ist das doch von unserer Zeit. Ein Würdenträger des Staates – der höchste Würdenträger der weltlichen Macht – begeht ein Verbrechen. Er erkennt das Verbrechen, das er begangen hat, und hat nicht diese falsche Scham, das Verbrechen nicht zu sühnen, damit es nicht bekannt wird, dass der Kaiser ein Verbrechen begangen hat. Vielmehr erkennt er sein Verbrechen mit der Demut des reuigen Mannes an und sagt: „Nein, ich habe dieses Verbrechen begangen, ich werde es sühnen. Wollt ihr mit mir auf eine Pilgerreise gehen?“

Dann schließen sich viele an, die mit dem Kaiser mitgehen, um ihn zu beschützen, um ihm die Reise zu erleichtern; auch, um mit ihm für seine Sünde zu sühnen. Denn die Sünde des Königs breitet sich über das Volk aus – nicht die Schuld, sondern die Strafe -, wie die Sünde des Familienoberhauptes sich über die Familie ausbreitet; wie sich die Sünden der Völker manchmal durch eine Reflexwirkung auf die Könige entladen.

Dann sieht man einen büßenden Kaiser, der in die Grotte eintritt, der kniet, der sich demütigt, der lange um Verzeihung bittet, bis der Erzengel auf geheimnisvolle Weise in die Höhle schwebt und dem Kaiser irgendwie das Gefühl gibt, dass er begnadigt wurde.

Dann erhebt er sich, er erhebt sich rehabilitiert, er erhebt sich freudig. Es ist eine Vergebung für ihn selbst und für das Heilige Römische Reich.

Sie alle gehen den Hang hinunter und singen nicht mehr Lieder der Buße, sondern Lieder der Freude. Sie steigen den Hang hinunter und wieder kehrt Stille ein durch diese heiligen Dickichte, die zum Meer hinunterführen. Und man hört nur ab und zu das Läuten, das Zeichen der Hirten, die die Herde versammeln; eine kleine Glocke, die läutet und die eine oder andere fromme Familie zum Gebet ruft. Wieder eine große Stille. Eine jener Stillen, die Gott liebt, jene Stillen, die die Engel anziehen, die bewirken, dass Gnaden auf die Orte herabregnen und sich ansammeln.

Die Zeit vergeht. Es kommt ein anderer Kaiser. Aber dieser Kaiser kommt nicht mehr, um zu sühnen; er kommt, um zu beten. Noch einmal wiederholt sich die Szene: Der Berghang füllt sich mit Menschen, die Prozession zieht ein, die Messe wird gelesen. Alles ist festlich. Und der Kaiser ist das Objekt einer außergewöhnlichen Gnade: Er sieht, er hat den Eindruck, dass die Höhle verschwunden ist, dass der Hang verschwunden ist. Natürlich, ein außergewöhnliches Licht, ein Licht, wie wir es uns nicht vorstellen können, ein Licht, das die ganze Höhle erfüllt, und der Erzengel erscheint ihm. Er erscheint mit einer Schar von Engeln.

Man kann sich vorstellen, was für eine Szene das Erscheinen eines Erzengels – des Fürsten der himmlischen Heerscharen Gottes – umgeben von einer Schar von Engeln sein kann.

Als einmal der heiligen Magdalena von Pazzi ihr Schutzengel erschien, kniete sie nieder, denn sie dachte, es sei Gott. Nun sind die Schutzengel die Engel des untersten Chores, sagt der heilige Thomas. Deshalb können wir uns den Erzengel Michael, der am höchsten Ende der Erzengel steht, gut vorstellen, wie hell und leuchtend ein Engel ist! Die Vielzahl von Engeln, die mit ihm erschienen…! Der Kaiser ist verzückt.

Die Engel ziehen sich zurück. Vielleicht hat er versucht, ihn zurückzuhalten. Er spürt den Feuerbrand eines Engels, der seine Hüfte liebevoll berührt, wie in der hier erwähnten biblischen Episode. Und es bleibt ihm ein Zeichen. Das Zeichen sollte ihm sein ganzes Leben lang beweisen, dass es sich nicht um eine Einbildung handelte, dass es kein Irrtum war, sondern dass er tatsächlich die Gnade hatte, noch auf der Erde einen Engel Gottes zu sehen, eine Schar der Engeln Gottes.

Man könnte fast sagen, dass dieses Zeichen des Feuers am Ende das Beste der Gabe war, denn es war wie ein Schlüssel, der alle Schätze in einem Tresor verschloss: dem Tresor der Gewissheit. Für immer und ewig würde er sicher sein, was mit ihm geschehen war. Ein wahres Wunder also.

Diese Begegnung eines Kaisers mit einem Erzengel hat symbolische Schönheit!

Der heilige Erzengel Michael ist gewissermaßen für Gott, was der Kaiser des Heiligen Reiches für den Papst ist. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war die rechte Hand des Papstes in weltlichen Angelegenheiten, die die Anwendung von Gewalt beinhalten. Der heilige Erzengel Michael ist der Vollstrecker der Verfügungen Gottes in den Angelegenheiten, die die Kraft betreffen. Es war die Aufgabe des hl. Michael, aus dem Himmel die ersten Ketzer zu vertreiben. Es oblag dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, die Ketzer von der Erde zu vertreiben. Das eine war das Abbild des anderen. Man kann sich vorstellen, wie herrlich es war, dass diese beiden heiligen, Kaiser und Erzengel zusammenkamen, um die Größe Gottes zu feiern. Wie herrlich! Welche Harmonien erklangen in dieser Grotte!

Dann kehrt die Prozession zurück und die Grotte kehrt wieder in ihre Dunkelheit und Stille zurück.

Aber es ist das, was ich gestern schon gesagt habe: geschichtliche Ereignisse häufen sich im Heiligtum an.

Die Anhäufung von geschichtlichen Ereignissen hat einen unvergleichlichen Wert! Die Ereignisse, die an einem Ort stattfinden, bleiben sozusagen an diesem Ort in Form einer Beteiligung, wie eine Reliquie an einer Handlung hat. Und so wie das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus an der sakrosankten Passion teilhat, so hat auch das, was die Personen in einer geschichtlichen Tatsache berührt hat, an dieser geschichtlichen Tatsache teil: die Personen sterben, aber das, was sie berührt hat, bleibt.

Und das bleibt für immer und ewig. Das Heilige Haus von Loreto zum Beispiel – der heilige Josef ist gestorben; die Gottesmutter, der Herr, ist gestorben und auferstanden; sie sind im Himmel; wie lange ist es her, dass diese drei heiligen Personen die Erde verlassen haben – aber da ist das Haus von Loreto, das sie berührt hat, voll von heiliger Geschichte. Es ist eine Reliquie, die sie berührten, die einen Raum umschrieb, in dem sie lebten. Das ist für immer heilig.

So wurde auch der Berg Gargano zu einem Reliquienschrein. Ein Reliquienschrein der Geschichte, der diese wunderbaren Fakten bewahrt, die wir hier gerade betrachtet haben.

Da ist unsere Meditation über den Heiligen Michael und den Berg Gargano.

Aus dem Portugiesischen mit Hilfe von Deepl.com Übersetzer von dem Vortrag von Plinio Corrêa de Oliveira am 29. Januar 1973 „O monte Gargano“. Abschrift und Übersetzung wurden vom Autor nicht revidiert.

© Nachdruck oder Veröffentlichung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.

„Der hl. Erzengel Michael und der Monte Gargano“ erschien erstmals in deutscher Sprache in www.p-c-o.blogspot.com

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