Plinio Corrêa de Oliveira
„Pater non mea voluntas,
sed tua fiat“
Catolicismo, n. 40, April 1954 (*) |
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„Nach diesen Worten ging Jesus mit seinen Jüngern hinaus, über den Bach Kidron hinüber, wo ein Garten war, in dem Er und seine Jünger eintraten“ (Joh 18,1). Jesus verlässt Jerusalem. Es war kein gewöhnliches Aufbrechen, gefolgt von einer baldigen Wiederkehr, sondern eine wahre und endgültige Trennung. Der Messias liebte die Heilige Stadt, ihre mit Ruhm bedeckten Mauern, den Tempel des lebendigen Gottes, der sich aus ihnen erhob, das auserwählte Volk, das in ihr wohnte. Deshalb predigte Er ihm die frohe Botschaft mit besonderer Liebe und Hingabe und bekämpfte sein Laster mit besonderem brennendem Nachdruck. Doch es verweigerte sich ihm. Er verließ also die verbannte Stadt. Es war Nacht. Jerusalem glänzte in all seinen Lichtern. Es gab Wärme und Überfluss in den Häusern und lebhafter Betrieb in seinen Straßen. Eine große Sorglosigkeit lag über der frohen und friedlichen Stadt. Jesus, mit all seiner Schönheit, seinem Anmut, seiner Güte kümmerte sie wenig. Als Er die Stadt verließ, vernahm es niemand, niemand wusste es, vielleicht hier und da ein Spaziergänger, der Ihn mit Gleichgültigkeit begegnete. Um ihre Seelen zu führen, zogen sie Annas, Kaiphas und dergleichen vor. Um ihre nationalen Interessen zu wahren, reichten ihnen Herodes. Sie tolerierten Pilatus mit resignierter schlechter Laune. Unter der Wachsamkeit dieser geistlichen und weltlichen Hirten konnten sie ja nach Lust und Laune ungezwungen essen, trinken und sich vergnügen, und im nachhinein ihr Gewissen mit einem Gebet und einem Opfer im Tempel trösten. So erledigte sich alles in Schläfrigkeit und Anpassung. Jesus, meinten sie, ist gekommen um diesen Frieden zu stören. Er sprach von Tod, Gericht, Himmel und Hölle ohne zu verstehen, dass für die Welt solche Predigten nicht angebracht waren; und das die erste Pflicht eines Rabbi in Anpassung an den Forderungen der Zeit bestand. Doch Jesus, als Kenner der heiligen Schriften, sehr gewandt in seiner Denkfähigkeit, mit hervorragenden Eigenschaften Menschenmengen zu beeindrucken und in vertraulich überzeugenden Gesprächen Menschen an sich zu ziehen, schien bemüht eine unumgängliche Unvereinbarkeit zwischen Religion einerseits und ein nach Herzenslust sorgenfreies und hemmungsloses Leben andererseits aufzuweisen. So spaltete Er die zwei Teile eines Bogens und bewirkte früher oder später den Zusammenbruch dieses Systems. Doch das störte Ihn nicht, denn es war vernunftwidrig. Um die gefährlichen Folgen Seiner Worte hervorzuheben, wirkte Er Wunder. Gestützt auf das Ansehen, die diese Ihm einbrachten, verwirrte Er die Geister noch mehr, als Er ihnen lehrte, dass der Weg, der zum Himmel führt, schmal ist und ihnen die Notwendigkeit der Reinheit, der Redlichkeit, der Rechtschaffenheit einschärfte, um diesen Weg einzugehen. Hatte Er, der Erbarmen predigte, denn kein Mitleid mit den Seelenkämpfen, der Gewissensdramen, die Er damit hervorrief? Er, der die Demut predigte, sah Er nicht ein, dass es notwendig war, sich mit dem Beispiel der Vorsicht, die ihm die Hohenpriester gaben, abzufinden? Es ist wahr, dass es eine Zeitlang so aussah, als ob Er siegen würde. Doch der Hohe Rat handelte zeitlich. Er öffnete freigebig seine Schatztruhen, schickte Abgesandte, die im Volk Vorbehalte gegen den Eindringling erwecken sollten. Sie waren sehr geschickt und verstanden die richtigen psychologischen Saiten der Menschen anzuschlagen. Damit waren die Aussichten des Rabbi beseitigt. Jerusalem würde nicht ihm gehören. Sein Tod war beschlossen und das Volk würde ihm zustimmen. Dieser Todesbeschluss wäre die letzte und unbedeutende Folge ihrer Machenschaften. Ein kleiner Fall für die Polizei. So wäre denn der „Fall“ Jesus erledigt. Das Volk konnte sich wieder den Belustigungen, dem Gold und der endlosen Tempelzeremonien hingeben. Alles konnte wieder zur normalen Tagesordnung übergehen. Ja, eine große Sorglosigkeit erfrischte die Luft in dieser üppigen und ruhigen Nacht. Die Predigten Jesu waren beendet und Er verließ die Stadt, weil dort nichts mehr zu tun war. Teilzuhaben an dieser lauen und schläfrigen Ruhe, in der die Gewissen schliefen, die Er zu wecken versucht hatte, war mit Seiner Vollkommenheit nicht vereinbar. Das einzige, was Er noch tun konnte, war, die Stadt zu verlassen, um eine vollständige Entfremdung, eine absolute Trennung, eine unumwundene Unvereinbarkeit zu verstehen zu geben. Und Er ging! Es blieben zurück die Lichter der Stadt und Er trat in die Finsternis der Nacht. Es blieb zurück die Menge der Menschen. Mit ihm nahm Er nur eine Handvoll, die ihm folgten. Zurück blieb alles, was Macht, Reichtum und weltlicher Ruhm war. Er zog sich zurück an einen abgelegenen, einsamen, armen Ort, nur gefolgt von einigen Unbekannten, die keine gesellschaftliche, keine nennenswerte kulturelle Bedeutung hatten, nichts. Es blieben zurück die Freuden des Lebens. Er ging der Trostlosigkeit der Verlassenen entgegen, der schrecklichen Qual derjenigen, die auf den Tod warten. „… und Er sagte zu seinen Jüngern: ,Setzt euch hier nieder, während ich bete!‘“ (Mk 14,32) Die Einsamkeit Jesu war viel größer, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Apostel folgten ihm, das ist wahr. Doch ihre Seele hing noch an allem, was sie bei dieser furchtbaren Trennung zurückgelassen hatten. Große Angst überkam sie, in der Vorausahnung was die nächsten Stunden ihnen bringen würden. Sie waren schon nicht mehr in der Lage zu beten. Das war der Anfang der Fahnenflucht, denn wer nicht betet gleitet den Abgrund hinunter. Beten konnten sie nicht. Zurück nach Jerusalem wollten sie nicht. Also blieben sie „sitzen“. Und sie haben zugelassen, dass der Meister ein Stück weiter ging und alleine blieb. Wahrscheinlich fühlten die Apostel sich als Helden, als sie dort sitzen blieben. Sie waren dermaßen mit ihrem eigenen Leid beschäftigt, dass sie an das Leid des Herren gar nicht dachten. Sie ließen sich von ihrem eigenen Schmerz erdrücken; und da saßen sie, kurz darauf schliefen sie ein, und etwas später ergriffen sie die Flucht. Schreckliche Lehre für die, die den langen Weg in Richtung Vollkommenheit beschritten haben! Jesus hatte ihnen gesagt: „Betet, dass ihr nicht in Versuchung fallet!“ (Lk 22,40). Sie haben nicht gebetet und erlagen… „Er nahm Petrus und die beiden Zebedäussöhne mit sich und begann zu zittern und zu zagen“ (Mt 26,37). Auswahl. Einige waren weniger abgestumpft durch den Schmerz der Verlassenheit, der Niederlage, der völligen Trennung von der Welt. Ihnen schmerzte das Leiden Jesu mehr als den anderen. Sie wurden beiseite gerufen und durften den Beginn der kostbaren Schmerzen des Erlösers mit ansehen. Wie viele erhalten den gleichen Ruf! Die Gnade ruft sie zu einer größeren Frömmigkeit, zu einem tieferen Glauben, zu einem genaueren Verständnis der schrecklichen Lage der Kirche in unseren Tagen. Um dieser Gnade zu entsprechen, muss man den Mut haben, an der Traurigkeit Christi teilzunehmen. Dazu bedarf es eines großmütigen, starken und ernsthaften Geistes. Wie wird eine solche Gnade abgelehnt? Indem man die Traurigkeit Jesu ablehnt: Man lebt nur für Kleinigkeiten, vergöttert den Sport, macht aus Radio und Fernsehen das Zentrum des Lebens, Witze werden zum einzigen Gesprächsthema, man will von den schweren Aufgaben, die die Zeit auferlegt, nichts wissen, weil man sich in die kleinen Angelegenheiten des täglichen Lebens versenkt. Solche Seelen haben nicht Teil an den vertraulichen, anbetungswürdigen Beziehungen zu den Schmerzen des Herzen Jesu. Sie sind wie Kröten, die mit dem Bauch am Boden herumkriechen und nicht wie Adler, die mit ihrem kräftigen Flug die Weiten des Himmels durchkreuzen. „Und Er sagte zu ihnen: ,Meine Seele ist betrübt bis in den Tod; bleibt hier und wacht mit mir‘“! (Mt 26,38). „Meine Seele ist betrübt“, sagt Jesus, und nicht „ich bin betrübt“. Damit wollte Er bedeuten, dass die Qual, in der Er sich befand rein seelischer, moralischer Natur war. Das körperliche Leiden hatte noch nicht begonnen. In der Leidensgeschichte Jesu wird das körperliche Leiden besonders hervorgehoben, und das ist gut so. Doch die Andacht zum Heiligsten Herzen Jesu weist auf die seelische Marter Jesu hin, und das ist besser. Denn die Schmerzen des Geistes greifen tiefer, sind quälender aber doch viel edler als die Marter des Leibes, und sie widersetzen eher den seelischen Fehlern, die Gott so sehr beleidigen. Was litt Christus in seiner Seele? Was sollen wir leiden? Weil der Wille des Ewigen Vaters verletzt, Jesus, unser Herr, abgelehnt, verneint, gehasst wurde. Denken wir darüber nach, messen wir das Ausmaß und den Ernst dieser Lage, so werden wir in uns die seelischen Schmerzen Unseres Herren mitleiden. Christus und seine Kirche bilden ein Ganzes. Jedes mal wenn wir ein unmoralisches Werbeplakat sehen, ein falsches Urteil hören, eine Einrichtung oder ein Gesetz wahrnehmen, das der katholischen Lehre widerspricht, müssen wir leiden. Wenn wir dafür kein Eifer und keine Kraft haben, dann taugen wir nur zum „sitzenbleiben“ und um in der Stunde der Gefahr zu fliehen. „Betrübt bis in den Tod“, das heißt bis an die Grenzen des menschlich Möglichen. Die Betrübnis mit anzusehen wie das Gesetz verletzt, die Kirche verfolgt, die Ehre Gottes verkannt wird, muss in uns eine äußerste Betrübnis sein und nicht eine kleine emotionale und vorübergehende Traurigkeit, wie sie frivole und leicht erregbare Seelen an den Tag bringen, ähnlich wie Irrlichter über Sümpfe und Friedhöfe flackern. Das ist eine oberflächliche Traurigkeit, die keine ernsten Vorsätze, tiefen Eifer, echte Entsagung von allem hervorbringt, um nur im Kampfe zu leben. Jemand, dessen „Seele betrübt“ ist, tröstet sich nicht mit Zeitschriften, Kleidung, Restaurants, Spazierfahrten, ehrlichen – oder unehrlichen – Bagatellen! Er kann nur in großem Kummer leben, weil die Ehre Gottes beleidigt wurde und sie findet nur und ausschließlich Trost im geistlichen Leben und im Apostolat. „Bleibt hier“, das heißt, kehrt nicht zurück und vermischt euch nicht unter die Verdorbenen Kinder Jerusalems, auch nicht zu den Lauen, die ein paar Schritte abseits schliefen. „Wachet mit mir“. Ja, nimmt Anteil an meiner Einsamkeit, an meiner Niederlage, an meinem Schmerz. Macht daraus euren Ruhm, eure Freude, euren Reichtum. „Er ging ein wenig weiter, fiel auf sein Angesicht“ (Mt 26,39). Warum „ging Er ein wenig weiter“, wenn Er doch wollte, dass die drei Apostel bei Ihm bleiben sollten? Bei Jesus bleiben, bedeutet, im Geiste in Seiner Nähe bleiben, Ihm beistehen. Es bleibt bei Ihm derjenige, der aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, mit vollem Verstand in der Kirche ist. Es bleibt bei Unserem Herren der, der in den Stunden seines Leidens nur an Ihn denkt und nicht an sich selbst. Es bleibt bei Jesus der, der nur an Ihn denkt und nicht an die Welt, ihren Geist und ihren Gelüsten. Jesus ging nur „ein wenig“ weiter, „etwa einen Steinwurf weit“, schreibt der hl. Lukas (22,41). Warum „weitergehen“? Und warum nur „ein wenig“? Unser Herr wollte in Sichtweite bleiben, Er wollte gesehen werden, um die Treue der drei erwählten Apostel zu bewahren, Er wollte sie trösten und sich trösten, in dem Er sie in der Nähe wusste. Doch es war angebracht, dass Er sich ein wenig entfernte, denn es war eine äußerst schwere Stunde gekommen. Er würde mit Gott Vater sprechen und Gott Vater mit Ihm. So wie in der jüdischen Liturgie der Priester nur Er alleine in das Allerheiligste (Sancta sanctorum) eintrat, so wollte Jesus auch alleine diesen ersten Schritt seines Leidensweges gehen. Haben wir solche heiligen Einsamkeiten der Seele, Gipfel, auf denen nur Gott und wir sind, wo kein Freund, keine irdische Liebe zugegen ist, auf dem wir nur den Blick unseres Seelenführers zulassen? Oder sind wir von der Sorte, dessen Seele keine Zurückhaltung und kein Adel kennen, offen für alle Winde, alle Blicke, alle Schritte, wie ein gewöhnlicher öffentlicher Platz? Er „fiel auf sein Angesicht“. Äußerste Demütigung, vollständige Entsagung. Welch eine Vorbereitung für das Gebet! Wenn wir mit Gott sprechen, werfen wir uns zuvor nieder? Das heißt, gehen wir demütig, bereit zu gehorchen, bereitwillig allem zu entsagen, unser Nichts einsehend? Oder gehen wir mit Vorbehalt, mit Andeutungen, mit schmerzenden Punkten, an denen Gott von uns kein Opfer verlangen kann? Wenn wir die Kirche hören, werfen wir uns nieder, indem wir auf all unsere Meinungen und Willen verzichten, um nur zu gehorchen? Bei denen, die uns erbauen durch die Hinführung zur Kirche und zum Papst, werfen wir uns da nieder und nehmen ihren Einfluss an, oder erheben wir Barrieren und Einwände? „… betete und sprach: Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst.“ (Mt 26,39) Niedergeworfen auf die Erde und zugleich beten! Mit dem Körper auf dem Boden, das Niedrigste, was es gibt, und mit der Seele sich erhebend zum Höchsten des Himmels, zum Throne Gottes! In dieser Haltung besteht die Unbesiegbarkeit des echten Katholiken. Auf dem Höhepunkt der Not, der Demütigung, der Verlassenheit, trägt er noch in der Hand die Waffe, die alle Gegner besiegt. Wie wahr ist das, in den Kämpfen des innerlichen Lebens! Wir sehen keine Mittel, um einen Ausweg zu finden oder zu widerstehen, wir beten… und siegen letztendlich. Wie wahr ist das im Apostolat! Erschreckt uns die Wucht der heidnischen, gottlosen Welle? Denken wir sofort an Konzessionen, bei denen wir das Nebensächliche opfern, weil es nebensächlich ist; an das zweitrangige Wesentliche, weil es zweitrangig ist, und zuletzt an das Hauptsächlichste… „um ein größeres Übel zu verhindern“? Wenn wir um die Macht des Gebets wüssten, wenn wir „mit dem Angesicht zu Boden fallen“ würden, würden wir auch die Wirksamkeit unserer übernatürlichen Waffen, den Sinn, den Wert und den Nutzen der christlichen Kompromisslosigkeit besser verstehen. Der göttliche Erlöser litt hier für die Pessimisten, die Entmutigten, die keine Ahnung haben von der siegessicheren Kraft der Kirche. „So gehe dieser Kelch an mir vorüber…“ Welcher Kelch? Es war das erbarmungslose, erdrückende, ungerechte Leiden, das herannahte. Hier litt der göttliche Meister für die, die durch Optimismus sündigen, für jene, die, angesichts der Perspektiven des Kampfes, der Qual, des Schmerzes, die Vogelstrausspolitik anwenden und meinen, alles werde schon gut ablaufen. Das Leid vorhersehen und sich mutig darauf vorbereiten, ist allerhöchste Tugend. Und das gilt sowohl für unser Privatleben, als auch für die Anliegen der Heiligen Kirche. In dieser Zeit, in der sie dermaßen angegriffen wird, können wir nicht die Dummheit begehen zu sagen, es wird schon alles gut gehen. Erkennen wir den Ernst der Stunde, blicken wir mutig und christlich den Drohungen der Zukunft entgegen, mit entschlossenem und vertrauensvollem Gemüt, bereit, durch Gebet, Kampf und vollständiger Annahme des Opfers, zu reagieren. Dies ist das Beispiel, das der göttliche Meister uns gegeben hat: Sich von allem zurückziehen, um von Angesicht zu Angesicht mit Gott das Meer der Schmerzen, das auf Ihn zukam, in ihrem ganzen Umfang zu messen und vor diese Perspektive Stellung zu nehmen. Welche Haltung: „wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst.“ Zwei inständige Bitten sind hier enthalten. In der einen bittet der Gott-Mensch, dass der Schmerz „wenn möglich“ an ihn vorüber gehe. In der anderen nimmt Er ihn an, wenn es nicht möglich sein sollte ihn zu verhindern. Welch heilige Haltung. Nichts theatralisches; ohne Eitelkeit. Schmerzen verursachen im Menschen von Natur aus Angst. Unser Herr, der nicht nur wahrer Gott sondern auch wahrer Mensch war, hatte Angst vor den Schmerzen, die Er voraussah. Deshalb bat Er, dass sie „wenn möglich“ entfernt werden sollten. Schmerzen verhindern zu wollen ist legitim, weise und heilig. Aber sie um jeden Preis verhindern zu wollen, nein: nur „wenn möglich“. „Wenn möglich“: Was bedeutet das? Wenn angesichts dieser Bitte eines Gerechten, der zermalmt in der Voraussicht der Schmerzen daliegt, der göttliche Wille sich gütig erweisen könnte, indem Er diesen Schmerz vorüber gehen ließe, dann sollte es so sein. Wenn aber die Beseitigung dieses Schmerzes eine Änderung in den Plänen der Vorsehung bedeuten würde, eine Verminderung der Ehre Gottes und des Wohles der Kirche — die gegründet werden sollte —, und der Seelen zur Folge haben würde, dann wäre es besser alles zu leiden. „Wenn möglich“ … Ein erhabener Bedingungssatz, den die Welt nicht kennt. Und deshalb ist die ganze Welt in Krise, in Gefahr, in Agonie. Güter der Erde, Reichtum, Ruhm, Gesundheit, Schönheit, dies alle ist gut in dem Maße, in dem wir den Willen Gottes alledem überordnen. Wenn es aber notwendig ist, allem zu entsagen, weil es auf Grund diesem oder jenem äußeren oder inneren Umstand „nicht möglich ist“, diese Dinge zu besitzen, ohne Gott zu missfallen, dann entsagen wir doch vollständig allem. Wenn alle Menschen so denken und fühlen würden, wäre die Welt eine andere! Weil aber dieser Bedingungssatz fehlt, der jede Ordnung und jedes Gut in sich trägt, liegt unsere Zivilisation im Sterben. „Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Worte auf denen das ganze Leben der Kirche, der Seelen und der Völker beruht. Es sind heilige, süße, harte und schreckliche Worte, die der moderne Mensch nicht verstehen will. Sie sind eine perfekte Definition des Gehorsams, dieses Gehorsams, den seit Luther die Welt mehr und mehr hasst. Ja, es geschehe der Wille Gottes und nicht meiner: ich werde den Gebote folgen und nicht meinen Launen! Ich werden denken wie der Papst, auch wenn mir eine andere Lehre vorzüglicher erscheinen würde. Ich werde allen gehorsam sein, die über mich eine legitime Obrigkeit ausüben, weil sie Gott vertreten: deshalb werde ich ihren Willen walten lassen und nicht meinen! Mein Jesus, wie kann man, angesichts dessen noch sagen, dass Du ein Umstürzler warst und dass Du gekommen bist, die Revolution in die Welt zu bringen? Nach diesem Bittgebet, Schweigen. Die Evangelien berichten uns nicht, welche Antwort Jesus erhalten hat, auch nicht was Er darauf erwiderte. Warum auch? Und mit welchen Worten? Wahrscheinlich gab es nur eine einzige Person auf Erden, die alles gesehen, alles gewusst und alles angebetet hatte: Seine Mutter Maria war ohne Zweifel im Geiste gegenwärtig und an allem beteiligt. Das Thema ist zu erhaben, als das wir dieses Schweigen deuten können, das selbst die Evangelisten nicht brechen wollten. Bitten wir der Mittlerin aller Gnaden, sie möge uns einführen in die stille geistige Sammlung und in die unaussprechlichen Geheimnisse dieses Schweigens. Jesus hat es angenommen. „Da erschien Ihm ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn. Voll innerer Erregung betete Er noch eindringlicher, und Sein Schweiß rann wie Blutstropfen zur Erde nieder“ (Lk 23,43-44). So fing nun die Passion an. Jesus hatte den Schmerz und den Tod vorausgesehen und sie angenommen. Die bloße Voraussicht des Unvermeidlichen versetzte Ihn vor einen bedrückenden Berg der Qualen. Doch „ein Engel stärkte Ihn“. Ja, Sein demütiges Gebet wurde erhört. Gott gab Ihm Kraft den unerträglichen Schmerz zu ertragen, die unannehmbare Ungerechtigkeit ergeben anzunehmen. Wenn wir das verstehen würden! Die Gebote scheinen uns allzu schwer, es braust in uns der Sturm der liederlichen Begierlichkeiten und der teuflischen Versuchungen. Wenn wir verstehen würden, dass dies die Stunde Gottes ist, wenn wir „noch eindringlicher beten“ würden, wenn wir den Besuch des Engels aufnehmen würden, der uns Stärkung bringt! Ja, denn auch zu uns kommt der Engel immer, sodann wir beten. Mal ist es eine innere Bewegung der Gnade, mal ein gutes Buch, das wir lesen, mal ein Freund, der uns einen guten Rat gibt oder mit gutem Beispiel vorangeht. Doch wir beten nicht. Die Folge ist: wir fallen. In Christi Leiden kam der Engel auf Grund Seines Gebets. Nachdem Er Ihn gestärkt hatte, betete Jesus weiter: Ja, noch eindringlicher beten, ist das große Geheimnis des Sieges. Wer betet, wird gerettet werden, wer nicht betet, geht verloren, sagte der hl. Alphons von Liguori. Und wie hatte Er recht! Jesus hat Blut geschwitzt. Das erlösende Blut quoll hervor, durch die Last der seelischen Schmerzen. Man kann sagen, dass es Blut des Herzens war. Welch wunderbares Thema für die Verehrer des Heiligen Herzens. Blut schwitzen ist der äußerste Schmerz. Es ist der Gipfel der Last des Seelenleidens auf den Leib. Man könnte sagen, dass Jesus hier schon alles an Leiden ertrug, was Er nur konnte. Indessen war noch nicht einmal der erste Schritt des Leidenweges getan. Wie kann man diese fast unmögliche Widerstandfähigkeit erklären? Sein Martyrium begann, wo es bei anderen schon den Höhepunkt erreicht hatte. Weil „ein Engel vom Himmel Ihn stärkte“, und „Er noch eindringlicher betete“ … O, der Wert des Übernatürlichen! Und wir wagen zu behaupten, dass wir im geistlichen Leben oder in den Kämpfen des Apostolats versagen aus Mangel an Kräften! Dreimal sagte der Herr sein „Fiat“ (vgl. Mt 26,39-44). Und nach jedem Mal kam Er zu seinen Jüngern zurück. Beim ersten Mal „fand Er sie schlafend“ (Mt 26,40). Und Er riet ihnen: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallt! Der Geist ist zwar willig, das Fleisch aber ist schwach“ (Mt 26,41). Doch sie machten sich nichts draus. Warum? Weil sie müde waren. Von einer Müdigkeit befallen, die aus zwei Übermäßigkeiten bestand: Verzweiflung einerseits und andererseits Eingebildetheit. — Die Verzweiflung: Angesichts der menschlichen Niederlage Jesu waren ihre Träume weltlicher Größe zerstört. Was blieb ihnen? Diese Dunkelheit, diese Einsamkeit, dieser harte schlichte Boden, auf dem sie saßen. Die Karriere war vernichtet, o Schmerz aller Schmerzen! Unter der Last dieses Schmerzes, das einzige, was zu tun war, war schlafen. — Die Eingebildetheit: Indessen hielten sie sich für starke Typen. Sie hatten ja so viel gekämpft und es wäre sicherlich beleidigend, an ihren Mut zu zweifeln. Überzeugt von ihrer Widerstandskraft, sorglos über ihre Beharrlichkeit, verbrachten sie die Zeit, schlafend… Eine Müdigkeit vor allem auch aus Ungehörigkeit. Der Herr litt und sie schliefen! Was brachte ihnen denn der Herr? War es nicht schon ein großer Gefallen, bei Ihm zu sein inmitten dieser Verlassenheit? Was wollte Er mehr? Das sie noch außer der Zeit beteten? Nein. Er sollte wachen, wenn Er wollte. Die Jünger gingen schlafen. Je mehr man schläft, desto schwerer wird der Schlaf. Das ist genau der Entwicklungsprozess der Lauheit. Beim zweiten Mal „fand Er sie wiederum schlafend; denn ihre Augen waren schwer“ (Mt 26,42). Es war der Schlaf der Mittelmäßigkeit, der Nachlässigkeit, der Trägheit. Folgten sie noch dem Meister? Ja und nein. Ja, denn letztlich waren sie noch da. Nein, weil sie Ihm nicht mehr gehorchten. Er litt und sie schliefen. Es war der Anfang der Trennung. Wie kommt es zu einem so verhängnisvollen Absturz? Schlafen, während Jesus spricht, ist für mich zerstreut, übellaunig, lau sein, genauso wenn zu mir die Vertreter der Heiligen Kirche sprechen, diejenigen, die mich auf dem Weg der Heiligkeit führen sollen, die für mich durch ihr Beispiel die Orthodoxie, den Edelmut, den Hunger und den Durst nach Tugend darstellen. Wenn ich diesem Schlaf verfalle, was gibt es anderes zu tun als aufzustehen und „wachen und beten, um nicht in Versuchung zu fallen“? Wenn ich es aber nicht tue, was sind die Folgen? Das Scheitern im geistlichen Leben und in der Berufung. Beim dritten Mal sind die Worte Jesu, Worte des Tadels: „Ihr schlaft noch und ruht! Seht, die Stunde ist gekommen, da der Menschensohn überliefert wird in die Hände der Sünder. Steht auf, lasst uns gehen! Seht, mein Verräter naht!“ (Mt 26,45-46). Nun ist die Stunde vorüber. Nicht einmal die zärtliche und schmerzvolle Bitte hatte sie gerührt: „Konntest du nicht eine einzige Stunde wachen?“ (Mk 14,37). „Und sogleich, während Er noch redete, erschien Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine Schar mit Schwertern und Knütteln“ (Mk 14,43). Kurz darauf „verließen Ihn alle und flohen“ (Mk 14,50). Ja, sie flohen alle, weil sie lau waren, haben geschlafen, haben nicht gebetet. Wenn ich, Herr, nicht fliehen will, muss ich fest sein, darf nicht schlafen, ich muss beten. Gib mir, Herr, diese Gnade der Beharrlichkeit in allen Situationen, in allen Nöten, in allen Erbitterungen. Die Gnade der Treue in allen Verlassenheiten, in allen Hilflosigkeiten, in allen Niederlagen. Die Gnade der Standhaftigkeit, auch wenn alle Dich verlassen, unterdrückt vom Schlaf oder irregeworden durch die Lüsternheit der weltlichen Dinge. Oder sonst, mein Gott, nimm mich von diesem Leben. Denn eines möchte ich nicht: Fliehen! Durch die allmächtige Fürsprache Deiner heiligsten Mutter bitte ich Dich um diese Gnade der Beharrlichkeit, o mein Herr Jesus. (*) Plinio Corrêa de Oliveira zum 100. Geburtstag |