Plinio Corrêa de Oliveira
Wenn die Seele nach Gott strebt, ist das Altern keine Dekadenz
Freie Übersetzung aus „Catolicismo“, N. 23, November 1952 (*) |
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Wie gewaltig täuscht sich die moderne Welt, wenn sie das Altern als eine bloße Dekadenz betrachtet. Wenn man die geistigen Werte mehr als die leiblichen zu schätzen weiß, bedeutet das Altern ein Wachsen in dem, was im Menschen das edelste ist, die Seele. Obwohl das alt werden die Dekadenz des Körpers mit sich bringt, der nur das Materielle Element der menschlichen Person ausmacht. Und welch eine Dekadenz! Es kann gut sein, das der Leib an Schönheit und an Kraft verliert, aber er wird bereichert mit der Transparenz einer Seele, die sich im Laufe eines ganzen Lebens zu wachsen und zu entwickeln wusste. Transparenz, die die erhabenste Schönheit darstellt, die das menschliche Antlitz auszudrücken vermag. * * *
Die hl. Maria Eufrasia Pelletier wurde 1798 in der Vendée, Frankreich, geboren. Sie gründete eine Kongregation von Lehrerinnen und starb 1868. Ihr Fest wird am 24. April gefeiert. Nichts dessen, was Anmut bedeutet, hat ihr in der Jugend gefehlt: Die Vollkommenheit der Gesichtszüge, die Schönheit der Augen und der Haut, die Vornehmheit der Physiognomie, der Adel in der Haltung, die Frische und die Grazie der Jugend. Mehr noch, der Glanz einer strahlenden, logischen, kräftigen, reinen Seele, kam stark in ihrem Antlitz zum Ausdruck. Sie ist eigentlich der prächtige Typ einer christlichen jungen Frau. * * *
Nun sehen wir sie im Alter. Vom Reiz der früheren Jahre blieb nur ein vages Parfüm. Aber eine andere, höhere Schönheit strahlt aus diesem bewundernswerten Antlitz. Der Blick hat an Tiefe gewonnen; eine edle und unerschütterliche Gelassenheit scheint in ihm etwas von dem erhabenen und endgültigen Adel der Seligen in der himmlischen Glorie anzukündigen! In ihrem Gesicht haben die harten Kämpfe des geistigen und apostolischen Lebens einer Heiligen ihre Spuren hinterlassen. Es hat etwas Starkes, Vollkommenes, Unveränderliches erreicht: Es ist die Reife im schönsten Sinn des Wortes. Der Mund ist eine gerade, dünne, ausdrucksvolle Linie, die das typische Merkmal eines eisernen Charakters darstellt. Ein großer Friede, eine Güte ohne jegliche romantische Schwärmerei und Illusion, geprägt durch einen gewissen Rest der vergangenen Schönheit, strahlen noch von dieser Physiognomie aus. Der Leib ist der Dekadenz verfallen, aber die Seele ist dermaßen gewachsen, dass sie schon ganz in Gott ist, was die Worte des hl. Augustinus in Erinnerung ruft: „Unser Herz, o Herr, wurde für Dich geschaffen und es findet erst dann Frieden, wenn es ruht in Dir.“ Wer würde es wagen zu behaupten, dass das Altern der hl. Maria Eufrasia gleich einem Prozess der Dekadenz war? (*) Plinio Corrêa de Oliveira zum 100. Geburtstag |