Plinio Corrêa de Oliveira
Die christliche Vollkommenheit
(aus "Der Kreuzzug des 20. Jahrhunderts" Catolicismo, Januar 1951) |
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Das Evangelium deutet uns das Ideal der Vollkommenheit an: «Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist» (Matth. 5, 48). Diesen Rat zu verwirklichen, lehrt uns am besten unser Herr Jesus Christus selber, der uns diesen Auftrag erteilt hat. Und in der Tat ist Jesus Christus, das absolute Ebenbild der Vollkommenheit unseres himmlischen Vaters, für uns das höchste Vorbild, das wir nachahmen müssen. Unser Herr, seine Tugenden, seine Lehren, seine Werke sind das vollendete Ideal der Vollkommenheit, dem der Mensch nachstreben muss. Die Regeln zur Erlangung dieser Vollkommenheit finden sich im Gesetze Gottes, das, niedergelegt im Alten Testament, von Jesus Christus bestätigt und erfüllt worden ist: «Ich bin nicht gekommen, das Gesetz und die Propheten aufzuheben, sondern um sie zu erfüllen» (Matth. 5, 17); ferner in den Weisungen Jesu an seine Jünger und in den evangelischen Räten. Und damit der Mensch nicht dem Irrtum verfalle, in der Auslegung der Gebote und Räte, hat unser Herr Jesus Christus eine unfehlbare Kirche gegründet, die den göttlichen Beistand besitzt, um in Sachen der Glaubens- und Sittenlehre nicht zu irren. Die Treue zum kirchlichen Lehramt ist demnach die Art und Weise, wie alle Menschen das Ideal der Vollkommenheit, das ist unseren Herrn Jesus Christus, erkennen und ihr Leben nach diesem Ideal gestalten können. Das haben die Heiligen getan. Indem sie auf heroische Weise die Tugenden übten, welche die Kirche lehrt, leisteten sie Christus und dem himmlischen Vater vollkommene Nachfolge. Die Wahrheit, dass die Heiligen höchste moralische Vollkommenheit erreicht haben, wurde sogar von den Feinden der heiligen Kirche, wenn Wut und Bosheit sie nicht verblendeten, anerkannt und verkündigt; vom hl. Ludwig, König von Frankreich, schrieb zum Beispiel Voltaire: «Es ist dem Menschen nicht möglich, die Tugend noch weiter zu führen». Dasselbe könnte man von allen Heiligen sagen. Gott ist der Urheber unserer Natur und folglich auch aller Fähigkeiten und Vorzüge, die in ihr angelegt sind. Was in uns nicht von Gott kommt, sind unsere Fehler: Folgen und Früchte der Erbsünde und der persönlichen Sünden. Die 10 Gebote Gottes können nicht gegen die Natur gerichtet sein, die ja auch von Gott erschaffen wurde; denn in Anbetracht dessen, dass Gott vollkommen ist, kann es keinen Widerspruch in seinen Werken geben. Deshalb tragen uns die 10 Gebote ein Handeln auf, das uns auch von unserer eigenen Vernunft als unserer Natur gemäß empfohlen wird wie zum Beispiel Vater und Mutter ehren; und andererseits werden uns Taten verboten, die wir vernünftigerweise als gegen die natürliche Ordnung gerichtet ansehen müssen, zum Beispiel die Lüge. Auf dieser Übereinstimmung beruht die innere Vollkommenheit des Gesetzes als Ausdruck der natürlichen Ordnung wie auch die persönlich erworbene Vollkommenheit dessen, der dieses Gesetz befolgt. Alle Handlungen des Menschen sind gut (nach dem Gesetz), sofern sie seiner Natur gemäß sind. Als Folge der Erbsünde neigt der Mensch dazu, gegen seine Natur zu handeln. So ist er in Bezug auf seinen Verstand dem Irrtum, hinsichtlich des Willens dem Bösen unterworfen. Diese Neigung ist so stark, dass es ohne die Hilfe der Gnade dem Menschen nicht möglich ist, den Vorschriften der natürlichen Ordnung in seinem Denken und Tun nachzukommen. Gott hat die Richtlinien dieser Ordnung auf dem Berge Sinai geoffenbart; im Neuen Bund stiftete er eine Kirche, welche die Menschen schützen soll gegen Trugschluss und Sünde; durch die Einsetzung der Sakramente sowie der anderen Mittel der Frömmigkeit, die dazu bestimmt sind, sie in der Gnade zu befestigen, beugte er der Schwachheit der Menschen vor. Die Gnade ist eine übernatürliche Hilfe zur Kräftigung des Menschen an Verstand und Willen, damit ihm das Leben der Vollkommenheit möglich werde. Gott verweigert niemanden seine Gnade. Deshalb ist die Vollkommenheit für alle erreichbar. Kann ein Ungläubiger die Gebote Gottes erkennen und erfüllen? Erhält er die Gnaden dazu von Gott? Hier muss man unterscheiden. Grundsätzlich erhalten alle Menschen, die mit der katholischen Kirche in Kontakt kommen, genügend Gnaden, um zu erkennen, dass sie die wahre Kirche ist, auch dazu, in sie einzutreten und die Gebote beobachten zu können. Wenn daher jemand freiwillig sich von dieser Kirche fernhält, sei es, dass er ihr untreu wird und sie verlässt oder dass er die Gnade der Bekehrung verweigert, die ja der Ausgangspunkt aller anderen Gnaden ist, schließt er für sich die Pforte des Heiles. Wenn es aber jemand nicht vergönnt ist, die heilige Kirche kennen zu lernen, weil er zum Beispiel als Heide in einem Land wohnt, das noch nicht den Besuch der Missionare erhalten hat, so bekommt er doch genügend Gnade, um die Gebote Gottes wenigstens in ihren wesentlichen Grundzügen zu erkennen und sie beobachten zu können (Röm. 2, 14-15); denn Gott enthält keinem Menschen die Mittel zur Rettung vor. Doch muss man bedenken, dass, wenn die Treue gegenüber dem Gesetz Gottes Opfer, ja manchmal heroische Opfer verlangt, und zwar selbst von Katholiken, die im Schoße der Kirche leben, eingetaucht in eine Überfülle von Gnaden und anderen Mitteln der Heiligung, die Schwierigkeit, das Gute zu verwirklichen, noch viel größer ist für diejenigen, die außerhalb der Kirche und dieser Überfülle leben. Daher erklärt es sich, dass Heiden, welche die Gebote Gottes erfüllen, so selten sind. Übersetzt ins Deutsche aus dem Portugiesischen "A Cruzada do século XX" („Der Kreuzzug des 20. Jahrhunderts“) in Catolicismo, Januar 1951. © Nachdruck der deutschen Fassung ist nur mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet. Plinio Corrêa de Oliveira zum 100. Geburtstag |