Plinio Corrêa de Oliveira

 

 

Mein Volk, was habe ich dir getan?

 

 

 

 

 

 

Aus “O Legionário” vom 25 April 1943 (*)

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Deine Feinde haben sich gegen Dich verschwört, Herr. Ohne viel Mühe haben sie den Pöbel gegen Dich aufgehetzt und dieser ist nun in Hass gegen Dich entbrannt. Hass umgibt Dich von allen Seiten, schließt Dich ein wie eine dichte Wolke, wirft sich Dir entgegen wie ein dunkler, kalter Sturm. Grundloser, rasender, unerbittlicher Hass. Er lässt sich nicht damit stillen, dass Du gedemütigt, mit Schmach bedeckt und mit Bitternis erfüllt wirst. Deine Feinde hassen dich dermaßen, dass sie Dich schon nicht mehr unter den Lebenden ertragen – sie wollen Deinen Tod. Sie wollen, dass Du für immer verschwindest, dass die Sprache Deiner Beispiele und die Weisheit Deiner Lehren verstummt. Sie wollen Dich tot, vernichtet, zerstört sehen. Nur so können sie den Wirbelsturm des Hasses besänftigen, der sich in ihren Herzen erhebt.

Jahrhunderte vor Deiner Geburt hat der Prophet Micha diesen Hass schon vorausgesehen, den das Licht der Wahrheit, die Du verkündigen würdest, und der göttliche Glanz der Tugenden, die dich schmücken würden, dereinst wecken sollten: „Mein Volk, was habe ich dir getan, womit dich beleidigt?“ (Buch Micha 6,3) Und die heilige Liturgie bringt Deine Gefühle zum Ausdruck, wenn sie den Ungläubigen von damals wie von heute zuruft: „Was hätte ich denn noch für dich tun sollen, was ich nicht getan habe? Wie einen auserwählten, kostbaren Weinberg habe ich dich gepflanzt, doch du hast dich für mich in Bitternis verwandelt; Essig hast du mir in meinem Durst zu trinken gegeben, und mit einer Lanze hast du das Herz deines Erlösers durchbohrt.“ (Improperien)

*   *   *

So groß war der Hass, der sich gegen Dich erhob, dass selbst die Autorität Roms, die damals über die ganze Welt das Urteil sprach, feige Schwäche zeigte, zurückwich und sich dem Hass jener beugte, die Dich grundlos töten wollten. Der römische Stolz, siegreich an Rhein, Donau, Nil und Mittelmeer, ertrank in der Wasserschüssel des Pilatus.

„Christianus alter Christus“, der Christ ist ein anderer Christus. Wenn wir wirklich Christen, das heißt, echte Katholiken sind, sind wir ein anderer Christus. Und es wird nicht zu vermeiden sein, dass der Wirbelsturm des Hasses, der sich gegen Dich erhoben hat, auch uns grimmig ins Gesicht bläst.

Und er tut es tatsächlich, Herr. Erbarme dich unser, mein Gott, und gib dem armen Schuljungen Kraft, der den Hass seiner Kameraden zu ertragen hat, weil er sich zu Deinem Namen bekennt und sich weigert, die Unschuld seiner Lippen mit unreinen Worten  zu entweihen. Ja, der Hass. Vielleicht nicht der Hass in Gestalt einer abstoßenden, wilden Schmähung, sondern in der schrecklichen Gestalt des Spottes, der Absonderung und der Verachtung. Gib dem Gymnasiasten Kraft, mein Gott, der zögernd mitten im Unterricht in Gegenwart eines gottlosen Lehrers und einer spottenden Klasse zu Deinem Namen steht. Gib dem Mädchen Kraft, mein Gott, das sich zu Dir bekennt, indem es sich weigert, sich in den von der Mode vorgeschriebenen Kleidern zu zeigen, weil diese Kleidung wegen ihrer Extravaganz oder Unsittlichkeit nicht zu einer echten Katholikin passt. Gib dem Intellektuellen Kraft, mein Gott, der zusehen muss, wie sich ihm die Türen des Ruhmes und der Ehren verschließen, weil er Deine Lehre verkündet und sich zu Deinem Namen bekennt. Gib dem Apostel Kraft, mein Gott, der sich den grausamen Angriffen der Gegner Deiner Kirche und der tausendmal peinlicheren Feindseligkeit vieler Kinder des Lichtes ausgesetzt sieht, nur weil er nicht mit den Verwässerungen, Verstümmelungen und Einseitigkeiten einverstanden ist, mit denen die „Klugen“ die Nachsicht der Welt für „ihr Apostolat“ nutzen.

Oh mein Gott, wie weise sind Deine Feinde! Sie fühlen, dass in der Sprache dieser „Klugen“ zwischen den Zeilen zu lesen ist, dass Du weder das Böse noch den Irrtum noch die Finsternis hasst. Und darum klatschen sie den Weisen und Klugen dieser Welt Beifall. So wie sie Dir in Jerusalem Beifall gezollt hätten, statt Dich zu töten, wenn Du vor dem Hohen Rat eben diese Sprache gebraucht hättest.

Herr, gib uns Kraft. Wir wollen nicht paktieren, nicht zurückweichen, nicht nachgeben, nicht verwässern, nicht zulassen, dass auf unseren Lippen die göttliche Makellosigkeit Deiner Lehre verblasst. Und selbst wenn eine Sintflut der Unbeliebtheit über uns hereinbrechen sollte, soll unser Gebet doch immer das der Heiligen Schrift sein: „Wahrlich, lieber auf der Schwelle liegen am Hause meines Gottes als in den Zelten des Frevels wohnen.“ (Ps 84,11b)

Jesus nimmt  das Kreuz aus der Hand der Henker entgegen

Doch das erfordert Geduld von uns, Herr. Eine Geduld, die mit verschränkten Armen und resigniertem Herzen die Fluten der Unbeliebtheit über den eigenen Kopf hereinbrechen lässt. Geduld ist die Tugend, die uns für ein höheres Gut Leiden ertragen lässt. Geduld ist also die Fähigkeit, für das Gute zu leiden. So braucht der Kranke Geduld, der unter der drückenden Last eines unheilbaren Leidens resigniert den Schmerz annimmt, den es ihm auferlegt. Geduld braucht auch derjenige, der sich um den fremden Schmerz kümmert, um zu trösten, wie Du, Herr, jene getröstet hast, die Dich aufgesucht haben. Geduld braucht derjenige, der sich dem Apostolat mit unbesiegbarer Liebe zuwendet und liebevoll die Seelen zu Dir zieht, die auf den Pfaden der Ketzerei oder im Schlamm der Begierde straucheln. Geduld braucht auch der Kreuzritter, der das Kreuz entgegennimmt und in den Kampf gegen die Feinde der Kirche zieht. Es tut weh, im Streit die Initiative zu ergreifen, Kampfgeist und Tatkraft in sich zu wecken und wach zu halten, die Gleichgültigkeit, die Mittelmäßigkeit, die Trägheit zu besiegen. Sich als würdiger Jünger des Löwen von Juda auf den unverschämten Gottlosen zu werfen, der die Herde unseres Herrn Jesus Christus bedroht. Erhabene Geduld derer, die kämpfen, streiten, die Initiative ergreifen, eintreten, sprechen, verkünden, raten, ermahnen und allein allen Hochmut, allen Dünkel, alle Anmaßung des frechen Lasters, des eleganten Makels, des sympathischen, beliebten Irrtums herausfordern!

Du Herr, bist ein Beispiel der Geduld gewesen. Deine Geduld bestand aber nicht darin, erdrückt unter dem Kreuz zu sterben, das man Dir auflud. Eine fromme Offenbarung erzählt, dass Du es liebevoll geküsst hast, als Du es aus den Händen der Henker entgegennahmst und dann hast Du es auf die Schultern geladen und hast es mit unbesiegbarer Kraft bis auf die Golgotha-Höhe hinaufgetragen.

Gib uns, Herr, diese Fähigkeit zu leiden. Viel zu leiden! Alles zu leiden! Heldenhaft zu leiden! Den Schmerz nicht nur zu ertragen, sondern ihm entgegenzugehen, ihn zu suchen und bis zu dem Tag zu tragen, an dem wir die Krone des ewigen Sieges erhalten.

Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

Es ist leicht, vom Leiden zu sprechen - schwer ist es zu leiden. Du, Herr, hast es bewiesen. Wie anders ist doch dein göttliches Heldentum, Herr, im Vergleich mit dem albernen, künstlichen Heldentum so vieler Soldaten der Finsternis. Du hast im Angesicht des Todes nicht gelächelt. Du, Herr, hast nicht zu denen gehört, die da lehren, dass man lächelnd durchs Leben gehen soll. Als Deine Stunde kam, hast Du gezittert, warst Du verwirrt, hast Du in Erwartung des Leidens Blut geschwitzt. Und in dieser Flut von leider nur zu gerechtfertigten Befürchtungen liegt die Bekräftigung Deines Heldentums. Du hast die ununterdrückbarsten Schreie, die schlimmste Bedrängnis, die schrecklichste Panik überwunden. Alles in Dir beugte sich vor Deinem menschlichen und göttlichen Willen. Über allem aber schwebte Deine unerschütterliche Entschlossenheit, das zu tun, wozu der Vater Dich gesandt hatte. Und als Du mit Deinem Kreuz den bitteren Weg gingst, versagten Dir wieder die natürlichen Kräfte. Du bist hingefallen, weil Du keine Kraft mehr hattest. Ja, Du bist hingefallen, aber erst als Du einfach nicht mehr weiterkonntest. Du bist gefallen, aber nicht zurückgewichen. Du bist gefallen, hast aber nicht das Kreuz liegen lassen. Du hast es auf den Schultern behalten, als sichtbaren, fühlbaren Ausdruck Deines Vorsatzes, es bis Golgotha hinaufzutragen.

Schenke uns Deine Gnade, mein Gott, damit wir im Kampf gegen die Sünde und gegen die Ungläubigen, wenn es denn sein muss, unter dem Kreuz zusammenbrechen, ohne aber je dem Weg der Pflicht und der Kampfstätte des Apostolats den Rücken zu kehren. Ohne Deine Gnade, Herr, vermögen wir nichts, überhaupt nichts. Wenn wir aber Deiner Gnade entsprechen, vermögen wir alles. Herr, wir wollen Deiner Gnade entsprechen.

Das Kreuz tragen heißt: sehr, sehr oft zu entsagen. Vor allem natürlich dem Unerlaubten, dem Sündhaften. Doch oft heißt es auch, dem zu entsagen, was an sich zwar erlaubt oder gar bewundernswert ist, infolge gewisser Umstände jedoch schlecht oder weniger vollkommen ist.

*     *     *

Auf Deinem Leidensweg, Herr, hast Du uns ein schreckliches und zugleich leuchtendes, wunderbares Beispiel des Verzichts auf das Erlaubte gegeben. Gibt es etwas Zulässigeres, Herr, als die Zärtlichkeit, als die Hingabe Deiner heiligsten Mutter? Alles, was wir von Ihr wissen, ist, dass wir, auch wenn wir noch so viel von Ihr wissen, nie alles von Ihr wissen können. So unermesslich ist der Ozean der Vollkommenheit und der Gnaden, den Sie enthält. Deine Mutter will Dich trösten. Sie will von Dir getröstet werden. Sieh doch! Nichts ist statthafter, als dass Du anhältst auf Deinem Kreuzweg, um Trost zu suchen, um Ihr Trost zu spenden.

Doch dann kommt der Augenblick der Trennung nach diesem eiligen Zwiegespräch. Welch ein Schmerz! Ihr müsst Euch voneinander trennen. Keiner von beiden zögert. Das Opfer geht seinen Lauf. Und Deine heilige Mutter bleibt am Wege zurück. Am besten sagt man gar nicht wie, Sie sieht Dich weitergehen, blutend, unsicheren Schritts, wankend, das letzte, größte Opfer vor Augen. Du tust Ihr leid. Maria folgt Dir mit den Augen, sieht Dich allein in den Händen von Henkern und Feinden. Wer wird Dich trösten? Was für ein unwiderstehlicher, hinreißender, ungeheurer Wille, Deinen Fußstapfen zu folgen, Dir zärtliche Worte zuzuflüstern, wie nur Sie es kann. Deinen göttlichen Körper zu stützen, sich zwischen Dich und Deine Henker zu stellen, und am Boden kniend wie jemand, der um ein unschätzbares Almosen bittet, einige der Schläge, die Dich treffen, auf sich selbst herabzuflehen, in der Hoffnung, dass sie Dich dafür weniger verletzen und Dein unschuldiges Fleisch weniger misshandeln! O Mutterherz, was musstest Du in diesem Moment erleiden!

Priestermütter, Missionarsmütter, Mütter von Ordensleuten, wenn ihr die Schwere der grausamen Trennung spürt, denkt an die Gottesmutter, die Ihren göttlichen Sohn allein auf dem Weg weiterziehen ließ, den ihm der Wille Gottes vorgezeichnet hatte. Und bittet Sie, dass Sie euch in eurem glücklichen Schmerz tröste.

Es gibt aber noch andere tausendfach unglückliche, verlassene Mütter. Mütter gottloser, Mütter ausschweifender, Mütter sündiger Menschen: auch ihr bleibt oft verlassen auf dem Schmerzensweg zurück, während eure Kinder ins Verderben eilen. Bittet die Gottesmutter, dass Sie euch tröste, dass Sie euch Mut und Ausdauer gebe, und dass Sie einen Teil der Schmerzen, die Sie auf diesem Weg erlitten hat, dafür darbringen möge, dass eure Kinder eines Tages zu euch zurückkehren können. Denkt an Maria und verzweifelt nicht! Für eure irregeleiteten Kinder wird die Gottesmutter die Stella Maris sein, der Meeresstern, der sie früher oder später in den Hafen leiten wird.

(*) Plinio Corrêa de Oliveira zum 100. Geburtstag


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